Armut und Student sein, das passt in Deutschland nicht zusammen. Zumindest nicht in dem Ausmaß wie es mich gerade beschäftigt. Ich habe hier in Deutschland studiert, hatte immer sämtliche Nebenjobs gleichzeitig, um über die Runden zu kommen. Als es richtig knapp war, bin ich Blutplasma spenden gegangen, zeitweise, alle drei Tage. Die Narben in den Armbeugen habe ich immer noch. Ich habe es gehasst, aber die Situation gab gerade nichts anderes her, um jemanden anzupumpen war ich zu stolz. Wenn ich mir die Male anschaue, auch nach zehn Jahren noch, erinnere ich mich, wie arm und verzweifelt ich mich damals gefühlt habe. Wirklich verflucht habe ich es, dort mehrmals die Woche von einer Maschine ausgepumpt zu werden, dann mit zimmerkalter Kochsalzlösung wieder vollgepumpt zu werden. Zwischendrin gab es in die Vene immer irgendein Zitronenzeugs wegen der Blutgerinnung, das habe ich dann bitter auf der Zunge geschmeckt. Eklig und degradierend. Mal Blutplasma zu spenden hat sicher etwas Heldenhaftes, es als Nebenjob zu betreiben gab mir ein schlechtes Gefühl. Aber ich war auch stolz, das ich diese Zeit meistere, es allein schaffe, einen prima Abschluss hinlege und zwar zeitnah, dann durchstarte. Alles nur eine Phase, um letztendlich zu gewinnen. So war es auch.
Gut das war in Leipzig, wo die Mieten wirklich nicht hoch sind. Und ich habe sicherlich, wie unzählige andere Studenten auch, unter Hartz 4 Niveau gelebt. An der Plasmazapfanlage war ich schließlich nicht die einzige Studentin. Aber in Deutschland kommt man als Student schon irgendwie klar. Man hat nicht viel, es gibt aber immer die Möglichkeit sich durchzuwurschteln und in einer mehrköpfigen WG einigermaßen zu wohnen. Mit Billigpasta versorgt, Wasser kommt aus dem Hahn, ein Dach über dem Kopf. Man wohnt sicher und hat ein stabiles Gesundheitssystem im Rücken. Im Grunde kann einem nichts passieren. Mal ist ein bisschen mehr Kohle da, mal weniger.
Dieser sehr kurze Artikel, der mir von meiner Freundin Minke, die ich in Kalifornien kennen und lieben lernen durfte, geschickt wurde, geht mir nun sehr nahe.
In Kalifornien, wo ich eine Zeit gelebt habe, sieht das Thema Armut ganz anders aus. Die Studenten sind da nur die Spitze des Eisbergs. Das es aber auch die betrifft, macht das Ausmaß deutlich. Tausende Studenten können sich gar nichts leisten. Noch nicht mal regelmäßiges Essen. In Kalifornien gibt es keinen Aldi an jeder Ecke und keine Pasta für ein paar Cent. Walmart ist vielleicht nicht ganz so teuer, dazu braucht man aber ein Auto, um in die Einkaufszentren außerhalb der Städte zu fahren. Der Artikel beschreibt es: Viele Studenten haben noch nicht mal die Möglichkeit, sicher in vier Wänden zu schlafen. Wenn ich mich an meine knappesten Studienzeiten zurückerinnere, wo ich mich schon wirklich sehr schlecht und arm gefühlt habe und mir vorstelle, dass ich mich noch nicht einmal sicher fühlen kann, es kein Wasser aus dem Hahn gibt und auch kein günstiges Essen im nächsten Supermarkt wartet. Mir wird es ganz eng in der Brust, wenn ich mir das alles ausmale. Sehr viel brauche ich mir dazu auch nicht auszumalen, ich habe diese jungen Menschen dort in San Francisco unter Autobahnbrücken, in Zelten, in Verschlägen, unter Freeways in der Stadt gesehen. Es sind so unerträglich viele. Junge Menschen, meine Spiegelbilder. „Homeless, but not hopeless“ habe ich auf einem gehaltenen Pappschild auf der Autobahnauffahrt gesehen. Und das traurige Gesicht habe ich in Gedanken deutlich vor mir, Sommersprossen von kalifornischer Sonne, Haare im Wind. Ich bin im Auto, kann nichts ändern an Systemen, weine leise und bin gleichzeitig froh, dass ich in einer Schrottkarre mit meinen zwei Kindern sitze, sicher auf der Autobahn und nicht schutzlos darunter. Ich fühle mich schrecklich, vorbeizufahren.
In Kalifornien hangelt man sich von Monat zu Monat durch. Das Geld ist immer knapp, selbst mit gut bezahlten Jobs. Lebensmittel und Mieten (Autoreparaturen, Museumseintritte, Kinderkarusell fahren, ein Tretboot auf einem Tümpel ausleihen, einfach alles) kostet ungefähr viermal soviel wie in Deutschland, bei Mieten mittlerweile sogar eher mehr. Das ist in den letzten beiden Jahren drastischer geworden, die Mieten lagen in San Francisco noch nicht immer bei knapp 3.000$/Monat für ein schäbiges schimmliges Studio, 40 Quadratmeter.
Das Studium lacht, mit Abschluss könnte es einen Ausweg bedeuten. Ohne Abschluss bedeutet es eine desaströse Zukunft und Verschuldung. Schulden, die realistisch gesehen, nie beglichen werden können. Eine Abwärtsspirale. Das obdachlose Leben bedeutet v.a. Schutzlosigkeit, Raub, Diebstahl, Vergewaltigung, Krankheit. Mich lässt das Thema der irrsinnig vielen Obdachlosen in Kalifornien nicht los. Diese Bilder sind ganz tief in mir verankert. Es ist so skuril, hier zelten unzählige Obdachlose und ein Block weiter ist der Sitz von Twitter und noch ein bisschen weiter residieren die digitale Welt beherrschenden Google und Facebook, die sowas wie Instagram, eine von uns usern geschaffene Bilderbuchwelt, kreieren. Amerika und wahrscheinlich insbesondere Kalifornien ist das Land der Extreme. Gerne sieht man nur das eine Extrem, den Glamour und Glitter, atemberaubende Landschaften, kreativste und erfolgreichste Köpfe und Unternehmen. Es ist auch wirklich wahnsinnig toll und ich habe es geliebt, dort zu leben. Da schwebt ein ganz besonderer Drive in der Luft. Jeder spürt den möglichen Erfolg, fühlt die mögliche Größe. Jeder will dazu gehören.
Eben auch die Studenten, die nichts mehr essen und nicht mehr sicher schlafen.
Jedes Land hat seine eigenen Systeme. Gute sowie schlechte. Meine kleinen Narben in den Armbeugen sind jedenfalls ein Witz dagegen.
Das ist so ein Bericht, wo man zweierlei Tränen weinen kann
Ein sehr beeindruckender Bericht, der einem mal wieder sehr deutlich macht, wie gut es uns doch in Deutschland geht und wir uns nicht beklagen sollten! Ab und zu sollte man … Wie du es in diesem Artikel gemacht hast…. Darüber nachdenken !!!
Von meinem iPhone gesendet
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