In dieser ganzen wunderschönen kalifornischen Zeit gehörten diese Bilder auch zu meinem Alltag. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie bedrückend es sich im Bauch anfühlt, das jeden Tag in Massen zu sehen: Homeless suchen sich einen Platz in der Stadt, in der Sonne zum Aufwärmen, im Schatten zum Kühlen, im Zelt für die Privatsphäre und den vermeintlichen Schutz.
Dabei habe ich nicht nur die Enge im Bauch, sondern v.a. das beängstigende Wissen, wie schnell ein Mensch hier obdachlos werden kann. Das Wissen, dass alle Lebensmittel drei- bis viermal so teuer sind, wie ich es aus Deutschland gewohnt bin, dass die Mieten hier in den letzten beiden Jahren ins Unermessliche gestiegen sind, dass es kaum soziale Auffangmaßnahmen gibt, nur zehn Krankheitstage im Jahr, zehn Urlaubstage und dann? Wenn wirklich mal was passiert ist? Vom Gesundheitssystem und vielen anderen Dingen ganz zu schweigen. Hier zahlt man einen Monat keine Miete, dann war´s das. Der einzige Pluspunkt: das warme Wetter.
Manche Homeless arrangieren sich sicherlich und finden sich irgendwie in diesem unsicheren, gefährlichen Leben zurecht. Als ich vor ungefähr zwei Wochen in den Untergrund ging, um die Straßenbahn von Downtown zu den Bernal Heights zu nehmen, erstaunte mich eine Szene: Im Bereich, wo nicht viele Menschen durchmarschieren, weil dort nur die Buggies und Rollstuhlfahrer entlang kommen, lag ein Obdachloser auf dem Boden. Relativ gemütlich lag er auf der Seite mit übereinander geschlagenen Beinen. Ich schaute genauer hin, weil ich ein weißes Kabel sah. Er lag zur Wand hin gewandt, vor ihm hatte er ein Gitter aus der Wand gelöst. In dieser Luke steckte mit einem USB-Anschluss sein weißes Kabel, dass zu seinem iPad führte, auf dem er entspannt tippte. Es war ein irritierendes und wegen dieser sichtlichen Entspannung ein sehr schönes Bild.
Eine andere Begegnung ist mir auch sehr deutlich im Gedächtnis: Einmal habe ich im Auto angefangen, bittere Tränen zu weinen. Auf meiner letzten Fahrt nach Alameda stand ich, kurz bevor ich über eine Inselbrücke gefahren bin, an einer Ampel. Eine junge Frau, dunkle Haare, Sommersprossen, leicht gewelltes Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen gebunden, steht am Rand der wartenden Autos, lächelt traurig und hält ein Pappschild hoch, dass sie homeless und für jede Hilfe dankbar ist. Diese Frau, noch gesund wirkend, jung, noch relativ sauber – ich habe mich im Spiegel gesehen. Ich auf der einen Seite, sie auf der anderen. Die zwei schlafenden Kinder auf meinem Rücksitz, ich in einem kaputten BMW auf dem Weg zum Strandspaziergang. Sie mit dem Pappschild und einem zarten Lächeln. Es war so furchtbar, ich habe schrecklich geweint. So bitter.